gemeinsam mit dem Zentrum für Konfliktforschung
10.11.2003
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Der Begriff "Qualitatives Wachstum" hat das gleiche traurige Schicksal erlitten wie die "Nachhaltigkeit": Beide sind, mit wenigen Ausnahmen, zu billigen Schlagworten verkommen, die hauptsächlich dazu dienen, einen unverminderten Wachstumsdrang fern von aller Nachhaltigkeit zu kaschieren.
Die Wertschöpfung der kapitalistische Marktwirtschaft lebt davon, dass sie kostenloses oder spottbilliges Naturvermögen in gewinnbringende Güter verwandelt und mittels lukrativer Dienstleistungen vermarktet. Sie ist durch gutes Zureden wie Appellen zum "Qualitativen Wachstum" nicht davon abzubringen, die Biosphäre in Konsumgüter und Abfall umzuwandeln, weil sie damit die Quelle und den Motor ihres Wachstums aufgeben müsste.
Eine Umgestaltung des Wirtschaftsprozesses hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die einen komfortablen Lebensstandard bereitstellt, ohne die Lebensgrundlagen zu zerstören, kann nur dadurch erreicht werden, dass der Naturverbrauch schrittweise so weit begrenzt wird, dass die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Systeme erhalten bleibt.
In seinem Buch Ausstieg aus dem Crash hat der Autor das Modell einer ressourcenbegrenzten Wirtschaft entwickelt, dass mit Marktwirtschaft und einer liberalen Gesellschaft voll vereinbar ist.
13.01.2003
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Skripte zum Vortrag finden Sie hier:
fremd1.pdf
(156 kB)
fremd2.pdf
(80 kB)
Link:
Friedensgebet
Zum Auftakt des Neuen Jahres trug Priv Doz. Dr. J. M. Becker das Neujahrsgebet des Pfarrers von St. Lamberti in Münster 1883 vor.
Neujahrsgebet des Pfarrers von St. Lamberti in Münster 1883
Die Persistenz des Links wird nicht geprüft.
Fremdenfeindlichkeit ist – auch in Deutschland – ein Problem. Anhand von empirischen Arbeiten kann gezeigt werden, dass die Einstellungen der deutschen Bevölkerung zu ethnischen Minderheiten im europäischen Vergleich nicht sehr positiv sind und dass es systematische alltägliche Diskriminierungen von bestimmten ausländisch aussehenden Menschen gibt.
Diskutiert werden empirische Untersuchungen zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit. Besonders beachtenswert sind in diesem Zusammenhang, auch unter Anwendungsgesichtspunkten, die positiven Auswirkungen auf die gegenseitigen Einstellungen, die mit direkten Kontakten zwischen Mitgliedern der Mehrheit und ethnischen Minderheiten erreicht werden können. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion von Präventionsmaßnahmen zum Abbau von Vorurteilen und deren Effektivität.
10.02.2003
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Die Kurzfassung der Beiträge finden Sie hier:
abschluss.pdf
(24 kB)
Ob es um Klimafragen, um die Verkehrsproblematik, um die Energielage, um die Behandlung der Natur geht – immer drängender stellt sich die Frage, ob unsere Gesellschaft mit ihrer Art des Wirtschaftens, des Umgangs mit Mensch und Natur noch überlebensfähig ist.
02.05.2001
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Viele Konservative und Christdemokraten sind der Meinung, dass Demokratie und Menschenrechte auf eine vom Christentum geprägte Kultur zurückgehen. Die Zuwanderung von Muslimen würde die christlichen Grundlagen unserer Gesellschaft untergraben. Das Bekenntnis zum Islam gilt oft als unvereinbar mit demokratischen Einstellungen, also wird mit Verweis auf die innere Sicherheit die Anpassung an eine vermeintlich deutsche, christliche Leitkultur gefordert.
Andere sehen weniger eine "muslimische Gefahr", sondern hoffen vielmehr, die Gegenwart von Muslimen würde das gelebte Christentum stärken. Die Muslime in der Diaspora seien darauf angewiesen, ihre religiöse Identität zu bewahren. Daher könnten sie den Christen modellhaft vor Augen führen, wie "praktizierter Glaube", "täglicher Gottesbezug" und "Wertsetzung für die Jugend" gelebt werden sollten.
Kann eine kritische Auseinandersetzung mit den hiesigen Muslimen den Christen helfen, die eigenen Werte neu zu entdecken? Ist durch einen interreligiösen Dialog der ethische Diskurs zu stärken? Lassen sich auf Grundlage der Menschenrechte gemeinsame Werte finden und in die Gesellschaft einbringen?
29.01.2001
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Das Skript des Vortrags finden Sie hier:
hgvdb.pdf
(44 kB)
Die Bahn gilt heute unter ökologischen Gesichtspunkten zu Recht als der größte Hoffnungsträger, wenn es darum geht, die wachsenden Mobilitäts- und Transportansprüche der Gesellschaft zu erfüllen. Trotzdem hat eine über 40-jährige bundesrepublikanische Verkehrspolitik den Kraftfahrzeug- und Luftverkehr fast immer einseitig bevorzugt und damit die Deutsche Bahn in eine tiefe wirtschaftliche, infrastrukturelle und ideelle Krise getrieben. In einem jahrzehntelangen, immer noch andauernden Rückzug aus der Fläche wurden und werden wertvolle Infrastrukturen und Kundenpotentiale geopfert. Unverhältnismäßig teure und z.T. wirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Hochgeschwindigkeitsstrecken und -züge ziehen wichtige Ressourcen vom Erhalt bestehender Strecken, Leistungen und Arbeitsplätze ab.
Gegenwärtige Tendenzen zielen dahin, der Bahn weitere staatliche Unterstützung zu entziehen, um sie schließlich ganz von der staatlichen Förderung abzukoppeln und als Profit-Instrument an der Börse zu handeln. Dazu wird geplant, das Gesamtsystem Bahn wirtschaftlich und organisatorisch weiter zu zerschlagen, auf ein hochbelastetes, sensibles, weil kaum redundantes Kernnetz zu reduzieren, räumliche und zeitliche Verknüpfungen aufzugeben und die letzten Reste von Preistransparenz durch einen undurchsichtigen, an Supermarkt-Ideologie orientierten Tarifdschungel zu ersetzen. Diesen Tendenzen wird im Vortrag das Leitbild einer flächen- und zeitdeckenden, auf ihren traditionellen Stärken Redundanz, Verknüpfung und Verlässlichkeit beruhenden Bahn gegenübergestellt. Statt eines Profit-Auftrags für einige Großaktionäre hätte eine solche Bahn einen gesellschaftlichen Auftrag zur Wahrung (und möglicherweise Mehrung) der Mobilität in einer modernen Solidargemeinschaft zu übernehmen.
14.12.1998
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Skript zum Vortrag finden Sie hier:
svtg.pdf
(55 kB)
15.12.1997
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Das Skript zum Vortrag finden Sie hier:
sozoek.pdf
(15 kB)
Eine Liste mit den Veröffentlichungen des Technologie-Netzwerk Berlin e.V. zum Thema finden Sie hier:
netzpub.pdf
(43 kB)
Trotz relativ stetigen wirtschaftlichen Wachstums hat sich in den hochindustrialisierten Ländern Westeuropas zur gleichen Zeit ein beständig wachsender Sockel an Dauerarbeitslosigkeit herausgebildet. Aber der Sockel ist nicht überall gleich hoch. Die Arbeitslosigkeit konzentriert sich in bestimmten ländlichen oder städtischen Regionen, ja sogar in bestimmten Stadtteilen. Wir sprechen von einer "gespaltenen Ökonomie": gespalten in Wohlstandszonen einerseits und Krisenregionen andererseits. Trotz oder wegen der regionalen Fördermaßnahmen vertieft sich die Spaltung, statt dass ein Ausgleich herbeigeführt würde.
Alle Erfahrung aus den Krisenregionen Westeuropas, die schon seit längerem in der Krise stecken, spricht leider dafür, dass auch der derzeitigen Talfahrt der ostdeutschen (wie der osteuropäischen) Wirtschaft kein Aufschwung gleichsam automatisch folgt. Die Gesetze des Marktes werden vor allem auch jene enttäuschen, die von der Einführung der Marktwirtschaft die zumindest langfristige Beseitigung von Arbeitslosigkeit erwarten – im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit der einen ist der Preis für die Konkurrenzfähigkeit der anderen.
Dass dieses "Spiel" – jenseits aller moralischen Erwägungen – nicht gut geht, dafür bietet die ansteigende Gewaltbereitschaft, nicht nur an den Rändern der Gesellschaft, ein warnendes Beispiel. Da wir aber die Zustände nicht nur beklagen wollen, sondern – für uns und andere – nach praktischen Auswegen suchen, bleibt nur die Selbsthilfe.
Damit ist selbstverständlich nicht der Ersatz von staatlichen Dienstleistungen durch ehrenamtliche und unbezahlte Arbeit gemeint. Ökonomische Selbsthilfe will ebenso wenig auf ein Investitions- oder Wirtschaftswunder warten, sondern Arbeit und Einkommen aus eigener Kraft erwirtschaften.
Dass dies möglich ist, beweisen viele Initiativen und Gemeinden überall in Europa: in Großbritannien, in Spanien, in Österreich, in den Niederlanden, in Großstädten wie London und Glasgow ebenso wie in abgelegenen Regionen der Alpen, im französischen Zentralmassiv oder auf den schottischen Inseln.
Das Prinzip ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Anstatt mit aller Gewalt im Kampf um die Export- und Weltmärkte noch irgendwo eine Lücke aufzureißen (was so erfolgversprechend ist wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen), wird die wirtschaftliche Tätigkeit vorrangig durch die Förderung direkter Austauschbeziehungen innerhalb der Gemeinde oder Region angeregt – nach dem britischen Motto "local work for local people".
Paradoxerweise eröffnen sich erst dann neue Handlungsmöglichkeiten, wenn die Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten auf die lokale Ebene und auf die zur Verfügung stehenden lokalen Ressourcen akzeptiert wird. Erst bei diesem Perspektivwechsel zeigt sich der Bedarf oder die Notwendigkeit einer lokalen ökonomischen Strategie.
Gleichzeitig kann die mit der Krise verbundene Desintegration aus (bisher möglicherweise als unumstößlich oder übermächtig angesehenen) Verflechtungszusammenhängen als Chance für einen Neuanfang, eine eigenständig definierte Entwicklung (oder eigenständige Regionalentwicklung) begriffen werden. Insofern müssen sich lokal-ökonomische Strategien keineswegs auf Krisenabwehr und Notlagenindikation beschränken, sondern können positive, zukunftsorientierte Entwürfe enthalten.
Was hier in den Krisenregionen Europas an originellen Ideen und Formen ökonomischer Selbsthilfe entstanden ist, ist mehr als nur eine Notlösung, sondern möglicherweise der Keim einer neuen gemeinwesenorientierten Ökonomie, in der ökonomische, soziale und ökologische Zielsetzungen keine unversöhnlichen Gegensätze mehr darstellen, sondern zusammenwirken können. Hoffen läßt, dass es sich nicht um utopische Entwürfe handelt, sondern um praktizierte Experimente. Jede und jeder kann sie nachvollziehen oder an ihnen teilhaben.
Literatur:
Wirtschaft von unten – People's Economy
Beiträge für eine soziale Ökonomie in Europa
Einstiegslektüre zur ökonomischen Selbsthilfe durch lokale und regionale Entwicklung "von unten" von 31 AutorInnen auf 268 Seiten, (1996)
Herausgegeben von: Europäisches Netzwerk für ökonomische Selbsthilfe und lokale Entwicklung
(nur noch antiquarisch erhältlich)
12.01.1998
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Vortragsfolien mit Literaturhinweisen zum Vortrag finden Sie hier:
wwwfol.pdf
(168 kB)
Virtual Reality – virtuelle Realität, kurz: VR – steht für eine Reihe von Techniken der Informatik, die neue Formen des Computer-Zugangs und der Interaktion mit dem Rechner erschließen. Schon einmal, vor ca. 20 Jahren, hat sich hier ein Umbruch vollzogen: von der damals üblichen eindimensionalen Computer-Eingabe per Kommandozeilen zur zweidimensionalen Interaktion aufgrund der sogenannten desktop metaphor, d.h. der Simulation eines Schreibtischs und der darauf befindlichen Dokumente auf einem Computer-Bildschirm.
Heute werden Techniken entwickelt und vermarket, die das dreidimensionale "Begehen" virtueller – d.h. künstlich erzeugter – Umgebungen ermöglichen sollen. Dem Nutzer solcher Techniken soll statt des bloßen Betrachtens eines "flachen" Bildschirms der Eindruck des "Eintauchens" (immersion) in eine künstliche, dreidimensionale Welt vermittelt werden. Dazu wird er mit neuartigen Zugangsgeräten wie den sogenannten Datenbrillen, -helmen,
-handschuhen oder -anzügen ausgerüstet. Eine "Datenbrille" enthält beispielsweise zwei kleine Bildschirme, über die dem Betrachter oder genauer "Begeher" die virtuelle, mittels Graphik-Software erzeugte Umgebung unmittelbar ins Blickfeld eingespiegelt wird. Spezielle VR-Software sorgt dafür, dass z.B. der Effekt von Kopfbewegungen in den (Gegen-) Bewegungen der eingespiegelten Bilder oder dass der von Kollisionen oder Berührungen ausgehende Sinnesreiz per Datenhandschuh oder Datenanzug für den Benutzer simuliert wird.
Damit eröffnen sich neue Anwendungsfelder und -möglichkeiten, z.B. in der Medizin und Psychologie, bei der Prozessteuerung, in der Architektur, der Ausbildung, der Spiel- und Unterhaltungsindustrie. So erlauben Anwendungen in der Architektur das "Begehen" virtueller, d.h. nur als Graphik existierender "Räume" und ersetzen damit aufwendige materielle Modelle durch viel billiger herzustellende und oft doch "echter" wirkende virtuelle Substitute. Der Begeher solcher Räume kann diese ästhetisch und "räumlich" auf sich wirken lassen, zwischen Varianten wählen und Veränderungswünsche artikulieren – und diese bei Bedarf sofort in simulierter Form vorgeführt bekommen.
Eine besonders spektakuläre Anwendung in der Medizin beruht auf der Kopplung mit in den Körper eingeführten Miniatur-Kameras und Spezial-Operationsgeräten. Damit werden minimalinvasive Operationen möglich, bei denen der Operateur den Operations-Vorgang nicht mehr direkt, sondern indirekt, mit Hilfe einer VR-Apparatur und anhand der durch die Kamera übertragenen (diesmal "echten") Bilder vornimmt. In der Spiel- und Unterhaltungsszene entfaltet Virtual Reality nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Dafür sind zum einen die gesteigerten 3D-Präsentationsmöglichkeiten, zum anderen die im Zusammenhang mit der Vernetzung mehrerer Computer entstandenen vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten mit den anderen Spielern verantwortlich.
Wie jede neue Technik, ist auch die VR-Technik nicht frei von Gefahren und Risiken. Diese liegen zu einem Teil im medizinisch-gesundheitlichen Bereich, zum anderen sind sie psychologisch-sozialer Natur. So ist eine "Fern-Operation" eines möglicherweise weit vom Operationstisch entfernten Operateurs medizinisch nicht unkritisch. Weniger kritisch, aber unangenehm könnten sich Fehlschlüsse auswirken, die man aufgrund des "Begehens" eines virtuellen (und damit in letzter Konsequenz doch nicht dreidimensionalen) Baukörpers zu ziehen geneigt ist. Und langes "Eintauchen" in virtuelle Welten (bei Spielen oder anderen VR-Anwendungen) kann zu kurzfristigen Orientierungsproblemen oder gar Gleichgewichtsstörungen führen. Vor allem aber fürchtet man langfristige Wirkungen wie psychische Abhängigkeit, Vereinzelung und Identifikationsprobleme – bis hin zum Realitätsverlust als mögliche Folgen übermäßigen Reisens in virtuelle Welten.
Ganz wesentliche Impulse und eine besondere Richtung hat die VR-Entwicklung durch die etwa zeitgleich erfolgte weltweite Verbreitung des Internet bekommen. Dabei entstehen nicht nur in technischer, sondern auch in sozialer Hinsicht neue Kommunikationsformen und -strukturen. Diese werden oft unter dem Schlagwort "Virtuelle Gemeinschaft" zusammengefasst. Darunter versteht man einen Kreis von durch das Netz verbundenen Menschen, die regelmäßig untereinander korrespondieren und die damit ein gemeinsames Beziehungsgeflecht aufbauen.
Es gibt sehr vielfältige Formen solcher Zusammenschlüsse, die sich je nach Teilnehmerkreis, thematischer Ausrichtung, Art der Interaktion, einzuhaltenden Regeln etc. unterscheiden. Sie reichen von einer simplen Mailing-Liste, mit deren Hilfe sich Interessenten an einem bestimmten Thema über Neuigkeiten, Arbeitsergebnisse, Ereignisse etc. gegenseitig informieren bis hin zu virtuellen Welten oder sogenannten "Verliesen", in denen die Teilnehmer in fremde Identitäten schlüpfen und außerhalb der gewohnten raum-zeitlichen Begrenzungen agieren können.
Die Anwendungen reichen hier von der Geschäftswelt über den Spiel- und Unterhaltungsbereich bis in den politischen, sozialen und spirituellen Sektor hinein. Im Geschäftsleben lassen sich durch Computer-Konferenzen, Telebanking, Teleshopping oder Telearbeit physische Bewegungen von Teilnehmern, Kunden oder Angestellten substituieren und damit (teilweise) einsparen. "Teilweise" deshalb, weil die Erfahrung zeigt, dass viele dieser Aktivitäten nicht ganz ohne körperlichen Kontakt der Beteiligten auskommen, d.h. ohne diesen ihren Charakter oder Sinn verlieren. Das Argument, man könne durch Computer-Konferenzen unnötige Geschäftsreisen einsparen, wird auch durch den bekannten Kompensations-Effekt erschüttert: Eingesparte Zeiten oder Ressourcen werden oft durch vermehrte Aktivitäten kompensiert oder gar über-kompensiert.
Beispiele für Virtuelle Gemeinschaften im nicht-geschäftlichen Bereich sind themengebundene Gesprächskreise, Diskussionsforen, politische Zirkel, Gruppen von Interessenten an kommunalen und sozialen Projekten, an Sport und Freizeitgestaltung sowie am Austausch religiöser und spiritueller Erfahrungen. In vielen euphorischen Publikationen ist ein Wandel der demokratischen Umgangsformen vorausgesagt worden: Bürger bekommen einen direkten Draht zu ihren Politikern, Basisdemokratie ließe sich verwirklichen, Wahlen und Abstimmungen könnten ad hoc per Computer durchgeführt werden, das Recht zur freien Meinungsäußerung könnte – mit Hilfe der neuen Plattform Internet – nahezu unbegrenzt ausgeübt werden. Neben die durch physische Nähe gekennzeichneten Familien-, Nachbarschafts- und Vereinsbeziehungen treten neue, keinen räumlichen Begrenzungen unterworfene und ständig (re-) aktivierbare Sozialkontakte.
Die reale Entwicklung weist allerdings in eine andere Richtung: In zunehmendem Maße werden die Netze durch Großanbieter bestimmt, die diese in erster Linie für kommerzielle Zwecke, d.h. Werbung und Verkauf nutzen. Der (durch unvermeidbare Auswüchse provozierte) Ruf nach Zensur verstärkt die Tendenz zur Konzentration und Kommerzialisierung und schränkt die individuellen und basisdemokratischen Möglichkeiten ein. Vom ahnungslosen Privat-Nutzer unbemerkt, fließen dessen Daten und Nutzungsgewohnheiten zurück zu den Anbietern und werden von darauf angesetzten Spezialisten gesammelt, zu Werbe- und Vermarktungszwecken aufbereitet und weitervermittelt.
Bekannte Autoren wie z.B. Howard Rheingold haben sich gefragt, was den besonderen Reiz und die Faszination virtueller Gemeinschaften ausmacht. Sicher ist da zunächst eine gute Portion Neugier oder Voyeurismus im Spiel (der ja auch den Erfolg herkömmlicher Medien wie der Regenbogen-Presse ausmacht). Weiter stellen virtuelle Gemeinschaften aber auch eine Art Gegenkultur in einer Welt wachsender Vereinzelung und Entfremdung dar und können als "sozialer Klebstoff" in einer beziehungsarmen Umgebung dienen. Der Computer wird zur "Beziehungskiste", mit deren Hilfe sich leicht unverbindliche Kontakte knüpfen lassen, ohne eigene Hemmungen überwinden oder Schwächen preisgeben zu müssen. Mit Hilfe der virtuellen Umgebung kann man – wenigstens zeitweise – einer ungeliebten, weil reizlosen, öden oder abweisenden realen Umgebung entfliehen ("Eskapismus"). Möglicherweise tun sich dabei neue, bisher ungeahnte Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume auf, in die man abtauchen und alles andere um sich herum vergessen kann. Rheingold spricht hier von "Hyper-Realität".
Was lässt sich als Fazit aus dieser neuen Technik und ihren Anwendungen ziehen? Für die Anbieter versprechen sie big business: Die Werbung läßt sich noch gezielter und hautnaher an die bestehenden und potentiellen Kunden heranführen. Der Verkauf von Waren und Dienstleistungen wird erleichtert, etwa noch vorhandene Hemmschwellen beim Kunden werden erniedrigt, Geschäfte können weniger aufwendig abgewickelt und damit rationalisiert werden. Für Politiker und Interessenverbände bieten virtuelle Realitäten die bequeme Möglichkeit, von Unzulänglichkeiten oder Schädigungen der "realen" Realität abzulenken. Wer in einer virtuellen Welt auf Wolken wandelt, nimmt Umweltschäden oder Einschränkungen der Bewegungsfreiheit weniger deutlich oder gar nicht mehr wahr.
Für den unkritischen Konsumenten wird die Welt einfacher und geradliniger, eine Reihe unangenehmer Überraschungen bleiben ihm erspart. Die "Schöne neue (virtuelle) Welt" verschmilzt – wenn genügend lange konsumiert – mit der realen Welt, wird zu einer endlosen, universellen "World Soap Opera". VR macht Spaß und bringt den gewünschten Kick. Am Ende steht die Möglichkeit des kollektiven Realitätsverlusts: Die virtuelle Realität sticht die "reale Wirklichkeit" aus, weil sich die Mehrheit von ihrer Überlegenheit überzeugt hat.
Stellt diese Vision einer der kollektiven Schizophrenie verfallenden Gesellschaft eine reale Gefahr dar? Heute erscheint sie noch absurd – doch sollte man sich vergegenwärtigen, dass Gesellschaften in der Vergangenheit immer wieder in "virtuellen Realitäten" – verkörpert z.B. durch Sagen, Fabel- und Göttergeschichten, durch die Propaganda von Feudalherren, Diktatoren, Inquisitoren und Parteifunktionären – gelebt haben. In gewissem Sinne sind solche virtuelle Welten sogar sinnstiftend, richtungsweisend und damit lebenserhaltend für menschliche Gemeinschaften. Zur Gefahr werden sie dann, wenn in ihrem Namen und aufgrund ihrer Gesetze arrestiert, gefoltert und gemordet wird. So lassen sich hinterher als "Entgleisungen der Geschichte" eingestufte Perioden als Folge von kollektiv verloren gegangenem Realitätssinn erklären.
Gehen von der gegenwärtigen Welle der weltweiten Vernetzung und der "Virtualisierung" bestimmter Lebensbereiche konkrete Gefahren aus? Einige sind bereits immanent – werden aber vielleicht von vielen Mitmenschen noch als harmlos oder zumindest akzeptabel eingestuft: Dazu gehören die weiter fortschreitende, flächendeckende Kommerzialisierung und alles durchdringende Überflutung mit Werbung. Technisch bereits möglich ist die Ausspähung und Überwachung einzelner Personen, die unbemerkte Erfassung privater Daten – mit den entsprechenden Einbußen an Privatsphäre.
Wer sich darüber hinaus noch nicht von den Werbesprüchen einer paradiesischen "Informationsgesellschaft" einwickeln lassen will, wird Huxley's Vision einer "Schönen neuen Welt" nach wie vor brandaktuell, ja durch die neuesten Entwicklungen eher bestätigt finden: der Vision einer manipulierten, gefährdeten Menschheit, die sich von ihren realen Problemen, von der sie umgebenden und ihr Leben spendenden Natur abwendet, deren Signale nicht mehr wahrnimmt und damit eine wesentliche Fähigkeit zum nachhaltigen Überleben einbüßt.
24.10.1994
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14.11.1994
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22.11.1993
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