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Eine Lehrveranstaltung an der Philipps-Universität Marburg vom WS 1982/83 bis SoSe 2017
Konflikte in Gegenwart und Zukunft

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Journalismus politischer

Veranstaltung 12 im Wintersemester 2008-2009

26.01.2009

 

Abstract

Ja, viel zu oft versagt der Tagesjournalismus – gemessen an einem echten Aufklärungsanspruch, der nicht nur die schnelle Tagesthese braucht. Zuerst die große Koalition runterschreiben als langweiligen Demokratieblocker – dann die neue Unübersichtlichkeit im Bundesrat beklagen. Zuerst auf einem als zu profilschwach und weich erscheinenden Kurt Beck herumtrampeln, danach die machtentschlossene, zugleich aber auch ignorante Zielstrebigkeit einer Andrea Ypsilanti abtun als sektenhaften Wahn. Zuerst eiserne Spardisziplin fordern, wann immer es um linke Programmideen geht. Dann aber alle nur denkbaren Milliardenprogramme zur Rettung der Wirtschaft vor dem Finanzmarkt bejubeln oder noch ihre weitere Aufstockung fordern.

Ist politischer Journalismus heute alsö noch mehr als ein willfähriger – und wirkungsmächtiger – Trendverstärker für scheinbar gerade Mehrheitsfähiges? In den vergangenen Monaten gab es immer neue Belege dafür, dass viel mehr als Main-stream-Verklärung von den Medien nicht zu erwarten war. Vermutete Sieger möglichst frühzeitig hofieren, vermutete Verlierer vorauseilend diskreditieren: Eher so war zu umschreiben, was in der journalistischen Profession manche immer noch fälschlich für investigativ erklären – im Sinne von vorausschauendem Aufspüren politischer Trends. Ernsthafter Aufklärungsanspruch würde erfordern, sich einzulassen auf die realen Abwägungsprozesse der Politik, statt ihnen nur besserwisserisch entlang der Logik des Medienmarktes Schablonen gegenüber zu stellen. Andererseits: Es stimmt, dass die Politik selbst viel zu kurzfristig denkt. Der ehemals kritische Journalismus passt sich also auch seinem Beobachtungsfeld an, bis beide einander immer wieder negativ beeinflussen.

Gerade die medienlogische Versuchung zu ständiger Überinterpretation der Tagespolitik begünstigt den Sieg der politischen Taktik gegenüber inhaltlich orientierter Strategie. Die politische Öffentlichkeit müsste sich wieder emanzipieren vom Geleitzugprinzip. Die Professionalisierung der Kommunikation auf allen Seiten macht demokratische Meinungsbildung nicht leichter, sondern schwerer.