gemeinsam mit dem Zentrum für Konfliktforschung
14.01.2008
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Die Hinterhöfe der Lobby-Macht müssen ausgeleuchtet werden, um die grassierende Politikverdrossenheit aufzuhalten.
Deutschland lebt mit einer Lebenslüge, mit der Lüge, dass unsere Gesetze im wesentlichen von den dafür gewählten und vom Volk legitimierten Abgeordneten entworfen, beraten und bestimmt werden. Tatsächlich schwindet der parlamentarische Einfluss auf die Gesetzgebung seit Jahren. Immer häufiger segnen die Fraktionen im Deutschen Bundestag das ab, was über die starken Lobbyorganisationen rund um den Reichstag erdacht, erwünscht und über viele Kanäle in den parlamentarischen Prozess eingebracht wurde. Was viele Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand zugeben, verdrängt die politische Klasse, ignoriert die Wissenschaft und verschweigt die zunehmend mächtige Lobby. "Unsere Arbeit ist prinzipiell nicht öffentlichkeitsfähig," bekennt ein führender Chemie-Lobbyist.
In den deutschen Sozialkundebüchern und Politik-Lehrbüchern wird in der Regel Parlaments-Folklore vermittelt. Kein Wort über die geschickte Platzierung wichtiger Lobbyisten in den Ministerien, kein Wort über den systematischen Wechsel von führenden Politikern ins Lager der Lobbyisten und auch kein Wort darüber, welche Gesetzesvorlagen aus der Feder einflussreicher Lobbyisten stammen.
Die meisten haben sich schon daran gewöhnt, dass sich die Energielobby "ihre Abgeordneten hält", Wettbewerb verspricht, aber Marktmacht meint. Niemand ist irritiert, wenn die Zigarettenindustrie für CDU und SPD definiert, wie ein sinnvoller Nichtraucherschutz aussehen soll. Wen empört noch der unverfrorene Auftritt der Medizin-Lobby, die jede Reform im Milliarden-Markt Gesundheit blockieren will und aller Voraussicht bei diesem Vorhaben auch erfolgreich sein wird.
Die rund 1900 in Berlin eingetragenen Lobbyisten haben sich in den vergangenen Jahren weiter professionalisiert und radikalisiert. Die Passivität der Parlamentarier und die meist unverhohlene Bewunderung durch Ministerialbürokratie und Abgeordnete haben den Gestaltungs- und Blockadespielraum der Lobbyisten weit ausgedehnt.
Zwar gibt es in jüngster Zeit rhetorisch scharf formulierte Warnzeichen, wie jüngst von SPD-Chef Kurt Beck auf dem Arbeitgebertag in Berlin. "Wir werden vor dem Lobbyismus in Deutschland nicht einknicken," formulierte er in ungewöhnlicher Klarheit. Doch Konsequenzen aus der Analyse, dass Lobbyisten sich erfolgreich in der Grauzone der Macht bewegen, sind noch nicht erkennbar. Es gibt zwar immer wieder ein kleines Strohfeuer, wenn Extremfälle wie der geplante Wechsel des CDU-Politikers Norbert Röttgen in die Geschäftsführung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) – bekannt werden. Doch die Aufregung über die Verquickung von parlamentarischer Verantwortung und purer Interessenpolitik ebbt rasch ab.
Lobbyismus in seiner heutigen Ausprägung ist eine Vertrauens-Vernichtungsmaschine in der Demokratie. Eigentlich sind die jüngsten, stabilen Umfragedaten zur Einstellung der Bürger zur Demokratie alarmierend. Doch niemand ist alarmiert. Wenn die Parlamentarier auf allen Ebenen von der Kommune, über die Länder, den Bund und bis nach Europa – sich nicht selbst überflüssig machen wollen, müssen sie handeln und das Parlament wieder zum Zentrum unabhängiger Entscheidungsfindung und öffentlichen Streits um die die richtige Position machen.
Drei konkrete und einfache Maßnahmen könnten diesen überfälligen Prozeß der Selbstvergewisserung begleiten:
Dies sind nur drei bescheidene, aber schwer durchsetzbare Schritte. Sie würden den Parlamentarismus vitalisieren und Sauerstoff in die Demokratie pumpen. Damit sich diese Forderungen vom Konjunktiv zu einer aktiven Politik verwandeln, sind all diejenigen gefordert, die es nicht beim Frust über die Politik belassen wollen.