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Eine Lehrveranstaltung an der Philipps-Universität Marburg vom WS 1982/83 bis SoSe 2017
Konflikte in Gegenwart und Zukunft

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Selbsthilfe

Position 1: Veranstaltung 9 im Wintersemester 2003-2004
Position 2: Veranstaltung 7 im Wintersemester 1997-1998

 

Veranstaltung 9 im Wintersemester 2003-2004

12.01.2004
 

Skripte etc.

Das Manuskript des Vortrages finden Sie hier:

klkred.pdf
(86 kB)

Abstract

In einem auf 45 Minuten angelegten Vortrag kann lediglich ein allgemeiner Eindruck von der Komplexität der angesprochenen Probleme vermittelt werden. Schwerpunkt der Betrachtung ist ein Blick auf die entwicklungspolitische Relevanz von Kleinkreditprogrammen (Mikrofinanz), die neben spektakulären Großprojekten in den Bereichen Infrastruktur, Industrie und Militär nur selten öffentlich in Erscheinung treten und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen.

Den persönlichen Erfahrungen des Berichterstatters entsprechend konzentriert sich das Referat auf Mikrofinanzstrukturen in Entwicklungsländern, auf den großen Bereich zwischen Subsistenzwirtschaft und Marktwirtschaft, zwischen dem informellen und dem "modernen" Sektor, zwischen Tausch- und Geldwirtschaft, in dem in Entwicklungsländern auch 40 Jahre nach Beginn der organisierten Entwicklungshilfe immer noch die Mehrheit der Menschen lebt und arbeitet.

Am Beispiel der erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgekosten eines großen, gescheiterten Bewässerungsprojekts im Sahel (Riz Nord, Korhogo, Côte d'Ivoire) einerseits und einiger Kleinkreditprogramme in Westafrika andererseits werden Formen und Akteure von Mikrofinanz und die Möglichkeiten der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung durch Verbindung von Sparen und Kleinstkredit mit bestehenden Bankensystemen vorgestellt und auf ihre Beiträge zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Masse der Bevölkerung in Entwicklungsländern untersucht. Es wird der Frage nachgegangen, welche Finanzierungsarten und -techniken besonders geeignet sind, zur Mobilisierung örtlicher Ressourcen für die örtliche Entwicklung beizutragen, den wirtschaftlich und sozial Schwachen Zugang zu Spareinrichtungen, neuem Wissen und neuen Technologien zu öffnen und so eine breite Basis für nachhaltige Entwicklung von unten und innen zu legen, statt weiter vergeblich auf von oben und außen induzierte Entwicklung zu warten. Angesichts hoher Transaktionskosten und Risiken im Zusammenhang mit der Vergabe von Klein(st)krediten an Personen mit niedrigem und unsicheren Einkommen kann von Handelsbanken kein Interesse an diesem Geschäftsfeld und Kundenkreis erwartet werden.

Ziel des Referates ist es, anhand konkreter Fälle (extern finanziertes Kleinkreditprogramm für die Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und nach örtlichen Regeln funktionierende Spar- und Kreditringe in Kamerun, mobile "Bankiers" in Ghana, Kleinstkredite an Frauengruppen in Benin und Frauen-Spargenossenschaften im Senegal) die Vielfalt der auf Selbsthilfe und Gruppensolidarität aufbauenden Alternativen vorzustellen und zu diskutieren.

 

 

Veranstaltung 7 im Wintersemester 1997-1998

15.12.1997
 

Skripte etc.

Das Skript zum Vortrag finden Sie hier:

sozoek.pdf
(15 kB)

Eine Liste mit den Veröffentlichungen des Technologie-Netzwerk Berlin e.V. zum Thema finden Sie hier:

netzpub.pdf
(43 kB)

 

Abstract

Trotz relativ stetigen wirtschaftlichen Wachstums hat sich in den hochindustrialisierten Ländern Westeuropas zur gleichen Zeit ein beständig wachsender Sockel an Dauerarbeitslosigkeit herausgebildet. Aber der Sockel ist nicht überall gleich hoch. Die Arbeitslosigkeit konzentriert sich in bestimmten ländlichen oder städtischen Regionen, ja sogar in bestimmten Stadtteilen. Wir sprechen von einer "gespaltenen Ökonomie": gespalten in Wohlstandszonen einerseits und Krisenregionen andererseits. Trotz oder wegen der regionalen Fördermaßnahmen vertieft sich die Spaltung, statt dass ein Ausgleich herbeigeführt würde.

Alle Erfahrung aus den Krisenregionen Westeuropas, die schon seit längerem in der Krise stecken, spricht leider dafür, dass auch der derzeitigen Talfahrt der ostdeutschen (wie der osteuropäischen) Wirtschaft kein Aufschwung gleichsam automatisch folgt. Die Gesetze des Marktes werden vor allem auch jene enttäuschen, die von der Einführung der Marktwirtschaft die zumindest langfristige Beseitigung von Arbeitslosigkeit erwarten – im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit der einen ist der Preis für die Konkurrenzfähigkeit der anderen.

Dass dieses "Spiel" – jenseits aller moralischen Erwägungen – nicht gut geht, dafür bietet die ansteigende Gewaltbereitschaft, nicht nur an den Rändern der Gesellschaft, ein warnendes Beispiel. Da wir aber die Zustände nicht nur beklagen wollen, sondern – für uns und andere – nach praktischen Auswegen suchen, bleibt nur die Selbsthilfe.

Damit ist selbstverständlich nicht der Ersatz von staatlichen Dienstleistungen durch ehrenamtliche und unbezahlte Arbeit gemeint. Ökonomische Selbsthilfe will ebenso wenig auf ein Investitions- oder Wirtschaftswunder warten, sondern Arbeit und Einkommen aus eigener Kraft erwirtschaften.

Dass dies möglich ist, beweisen viele Initiativen und Gemeinden überall in Europa: in Großbritannien, in Spanien, in Österreich, in den Niederlanden, in Großstädten wie London und Glasgow ebenso wie in abgelegenen Regionen der Alpen, im französischen Zentralmassiv oder auf den schottischen Inseln.

Das Prinzip ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Anstatt mit aller Gewalt im Kampf um die Export- und Weltmärkte noch irgendwo eine Lücke aufzureißen (was so erfolgversprechend ist wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen), wird die wirtschaftliche Tätigkeit vorrangig durch die Förderung direkter Austauschbeziehungen innerhalb der Gemeinde oder Region angeregt – nach dem britischen Motto "local work for local people".

Paradoxerweise eröffnen sich erst dann neue Handlungsmöglichkeiten, wenn die Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten auf die lokale Ebene und auf die zur Verfügung stehenden lokalen Ressourcen akzeptiert wird. Erst bei diesem Perspektivwechsel zeigt sich der Bedarf oder die Notwendigkeit einer lokalen ökonomischen Strategie.

Gleichzeitig kann die mit der Krise verbundene Desintegration aus (bisher möglicherweise als unumstößlich oder übermächtig angesehenen) Verflechtungszusammenhängen als Chance für einen Neuanfang, eine eigenständig definierte Entwicklung (oder eigenständige Regionalentwicklung) begriffen werden. Insofern müssen sich lokal-ökonomische Strategien keineswegs auf Krisenabwehr und Notlagenindikation beschränken, sondern können positive, zukunftsorientierte Entwürfe enthalten.

Was hier in den Krisenregionen Europas an originellen Ideen und Formen ökonomischer Selbsthilfe entstanden ist, ist mehr als nur eine Notlösung, sondern möglicherweise der Keim einer neuen gemeinwesenorientierten Ökonomie, in der ökonomische, soziale und ökologische Zielsetzungen keine unversöhnlichen Gegensätze mehr darstellen, sondern zusammenwirken können. Hoffen läßt, dass es sich nicht um utopische Entwürfe handelt, sondern um praktizierte Experimente. Jede und jeder kann sie nachvollziehen oder an ihnen teilhaben.

Literatur:

Wirtschaft von unten – People's Economy
Beiträge für eine soziale Ökonomie in Europa
Einstiegslektüre zur ökonomischen Selbsthilfe durch lokale und regionale Entwicklung "von unten" von 31 AutorInnen auf 268 Seiten, (1996)
Herausgegeben von: Europäisches Netzwerk für ökonomische Selbsthilfe und lokale Entwicklung
(nur noch antiquarisch erhältlich)