Interdisziplinäres Seminar zu Ökologie und Zukunftssicherung im Wintersemester 2003-2004
gemeinsam mit dem Zentrum für Konfliktforschung
03.11.2003
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Das Manuskript des Vortrages finden Sie hier:
du.pdf
(948 kB)
Links
CADU (Campaign Against Depleted Uranium
Depleted Uranium Education Project des International Action Center
MedSearch (US Medical Reference for Gulf War-Related Research) DU-Informationen
Post-Conflict Assessment Unit Publications der UNEP (United Nations Environment Programme): DU-Reports I
Post-Conflict Assessment Unit Publications der UNEP (United Nations Environment Programme): DU-Reports II
WHO (World Health Organization: DU-Informationen
WISE (World Information Service on Energy) Uranium Project I
WISE (World Information Service on Energy) Uranium Project II
Die Persistenz der Links wird nicht überprüft.
Das Uran in der Munition, DU (depleted uranium, abgereichertes Uran), ist zwei Gifte: Chemisch als Schwermetall, physikalisch durch seine radioaktive Strahlung. Gut- und bösartige Erkrankungen von Beschäftigten in der DU-verarbeitenden Industrie zeigen, dass auch hier gilt: Schon Rüstung tötet.
Anhand medizinischer Befunde bei Golfkriegs-Veteranen wird der Frage nachgegangen, ob und wie auch an Kombattanten die chemische Giftwirkung des DU nachweisbar ist.
Alphastrahlen, wie sie die radioaktiven Uranisotope aussenden, haben eine besonders hohe relative biologische Wirksamkeit. Bei der Passage der Erbsubstanz richten sie nicht reparable Schäden an. Wie lassen sich gehäufte Chromosomenschäden bei den Veteranen der Kriege mit Uran-Munition erklären?
Mit welchen Gesundheitsschäden ist in der Bevölkerung uranverseuchter Gebiete langfristig zu rechnen, wenn Befunde epidemiologischer Untersuchungen über die Folgen radioaktiver Tochternuklide des Urans im Trinkwasser beachtet werden?
Das Fazit wird sein: DU-Munition ist ein doppelt vergifteter Pfeil und sollte als Waffe international geächtet werden.
10.11.2003
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Der Begriff "Qualitatives Wachstum" hat das gleiche traurige Schicksal erlitten wie die "Nachhaltigkeit": Beide sind, mit wenigen Ausnahmen, zu billigen Schlagworten verkommen, die hauptsächlich dazu dienen, einen unverminderten Wachstumsdrang fern von aller Nachhaltigkeit zu kaschieren.
Die Wertschöpfung der kapitalistische Marktwirtschaft lebt davon, dass sie kostenloses oder spottbilliges Naturvermögen in gewinnbringende Güter verwandelt und mittels lukrativer Dienstleistungen vermarktet. Sie ist durch gutes Zureden wie Appellen zum "Qualitativen Wachstum" nicht davon abzubringen, die Biosphäre in Konsumgüter und Abfall umzuwandeln, weil sie damit die Quelle und den Motor ihres Wachstums aufgeben müsste.
Eine Umgestaltung des Wirtschaftsprozesses hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die einen komfortablen Lebensstandard bereitstellt, ohne die Lebensgrundlagen zu zerstören, kann nur dadurch erreicht werden, dass der Naturverbrauch schrittweise so weit begrenzt wird, dass die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Systeme erhalten bleibt.
In seinem Buch Ausstieg aus dem Crash hat der Autor das Modell einer ressourcenbegrenzten Wirtschaft entwickelt, dass mit Marktwirtschaft und einer liberalen Gesellschaft voll vereinbar ist.
17.11.2003
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kranich.pdf
(48 kB)
Einem wiederholt geäußerten Wunsch der Seminarteilnehmer entsprechend, bietet dieser Vortrag eine Alternative zu den üblichen düsteren Analysen aktuell bedrohter Natur: Kraniche und Geier gelten wenigstens in Europa als Erfolgsmodelle langjähriger Artenschutzbemühungen, so dass der Eindruck entstanden ist, man könne allenfalls noch fragen, wem es besser geht.
Der Vortrag verfolgt für beide Großvogel-Gruppen die "Erfolgs-Story" , muss aber – wie kaum anders zu erwarten – die Euphorie dämpfen und zeigt außerdem in einem letzten Kapitel auf, dass – weltweit gesehen – Arten existieren, deren Überleben an einem seidenen Faden hängt.
24.11.2003
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"Im Umgang mit Syrien sind alle Optionen offen", sagt Jon Polten, Stellvertreter des Außenministers der USA. Eine mögliche Option wäre eine amerikanische militärische Intervention. Syrien sei eine doppelte Bedrohung: Damaskus unterstütze die Terrororganisationen und strebe nach Massenvernichtungswaffen.
Die amerikanische Liste der Forderungen an Syrien ist lang. Die USA verlangen von Damaskus volle und bedingungslose Zusammenarbeit. Faruk Aschrah, Syriens Außenminister, erklärt, sein Land sei bereit für eine intensivere Kooperation mit den USA, dennoch stellt er die Frage: "Welcher Staat in der Welt kooperiert vollständig mit den Vereinigten Staaten von Amerika?". Indirekt weist der Syrer auf Deutschland und Frankreich hin. Damaskus wartet nicht ab, sondern verstärkt seine Bemühungen um Amerika zufrieden zu stellen. Syrien schließt die Büros der palästinensischen Organisationen im Land; durch bessere Beziehungen zu Ankara will Syrien, dass die Türken sich in Washington für die Syrer einsetzen. Aber Ankara hat selbst Probleme mit der amerikanischen Politik im Nahen Osten. In Wirklichkeit arbeitet Syrien seit dem 11. September 2001 stillschweigend mit Amerika intensiver als je zuvor zusammen. Der Erfolg der USA bei der Verhaftung vieler Islamisten in Afghanistan und anderswo ist vor allem der Mithilfe aus Damaskus zu verdanken. Washington will aber nicht nur Konzessionen, sondern volle und bedingungslose Kooperation.
Werden die Machtaber in Syrien den amerikanischen Wünschen nachgeben oder ereilt ihnen das gleiche Schicksal wie ihren arabischen Brüdern in Bagdad? Über diese und andere Fragen möchten wir gemeinsam diskutieren.
01.12.2003
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Mit der Entwicklung einer Naturerkenntnis begann der Mensch bewusst die Natur als ihn umgebende natürliche Ressource zu nutzen. Das zunehmende exploitive Verhalten führte in einen Konflikt zwischen Naturnutzung auf der einen und dem Naturschutz auf der anderen Seite. Der Vortrag stellt hierzu größere globale Gefährdungspotentiale dar.
Was kann in diesem Zusammenhang eine aktuelle Naturschutzbiologie in Lehre und Forschung vermitteln? Auf diese Frage wird im Vortrag näher eingegangen, Chancen und Probleme werden beleuchtet.
08.12.2003
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Der Zubau von Windkraftanlagen hat in den letzten Jahren stark zugenommen und es werden weitere hohe Zuwächse prognostiziert. Um diesen fluktuierenden Erzeuger mit minimalen gesamtwirtschaftlichen Kosten in die (vorhandene) Stromerzeugungsstruktur einzubinden, bedarf es Optimierungsuntersuchungen. Mit WEsER (Wind Energy substitutes conventional Electricity Resources) wurde ein technologieorientiertes Energiesystemmodell entwickelt, mit dessen Hilfe eine für die absehbaren Entwicklungen optimale Stromerzeugungsstruktur mit minimalen Kosten angegeben werden kann. WEsER stellt in seinem Aufbau einen Kompromiss zwischen dem Anspruch einer möglichst detaillierten Abbildung der Kraftwerkstechnologien und dem Ziel einer freien Bestimmung des Optimums des Kraftwerkszubaus und -einsatzes dar. Dabei geht es im Vergleich zu bisherigen Energiemodellen erstmalig auf die spezifische Charakteristik der Windenergienutzung (fluktuierende und eingeschränkt vorhersagbare Stromerzeugung) ein.
Prinzipiell erfordert der weitere Ausbau der Windenergienutzung ein Umdenken in der Betriebsweise der konventionellen Kraftwerke und längerfristig in der Struktur des Kraftwerkszubaus. Es kann jedoch gezeigt werden, dass die Gesamtkosten der Stromerzeugung bei einer Anpassung der konventionellen Stromerzeugungsstruktur hinsichtlich der großen Anteile der Windenergie auf nahezu gleichem Niveau gehalten werden können.
Der Vortrag zeigt die Entwicklung und Perspektiven der Windenergienutzung, den Modellansatz sowie Optimierungsergebnisse verschiedener untersuchter Szenarien.
15.12.2003
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Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Entstehung neuer Nationalstaaten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken beginnen alte geschichtliche Strukturen im zentralasiatischen Raum wieder aufzuleben. Die eigentlich tot gesagte Seidenstraße könnte sich dabei zu einer pulsierenden Verkehrs- und Handelsverbindung zwischen Europa und Asien entwickeln. Gleichzeitig prallen aber in diesem Raum sehr unterschiedliche Interessen aufeinander. Während sich Russland bemüht, seine Südflanke zu sichern, versuchen die USA in diesem Raum verstärkt Fuß zu fassen.
Entsteht hier ein neuer Konfliktherd?
An den Rändern dieser Zone haben sich die Auseinandersetzungen bereits entzündet. Die willkürlichen Grenzen aus dem 19. Jahrhundert verursachen auch heute noch ethnische Konflikte. Angeheizt werden die ohnehin herrschenden Spannungen durch den ungeheureren Rohstoffreichtum dieser Region, vor allem an Erdöl und Erdgas. Die Begehrlichkeit nach diesen Rohstoffen nutzen regionale Herrscher, um ihre Macht mit Duldung der Großmächte aufrechtzuerhalten.
In diesem Vortrag werden aktuelle Informationen aus dieser Region präsentiert, die nicht ohne Weiteres verfügbar sind. Eigene Erfahrungen, die in diesem Gebiet gemacht wurden, werden den Zuhören vermittelt und mit vielen Photos und Filmbeispielen anschaulich gemacht.
12.01.2004
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(86 kB)
In einem auf 45 Minuten angelegten Vortrag kann lediglich ein allgemeiner Eindruck von der Komplexität der angesprochenen Probleme vermittelt werden. Schwerpunkt der Betrachtung ist ein Blick auf die entwicklungspolitische Relevanz von Kleinkreditprogrammen (Mikrofinanz), die neben spektakulären Großprojekten in den Bereichen Infrastruktur, Industrie und Militär nur selten öffentlich in Erscheinung treten und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen.
Den persönlichen Erfahrungen des Berichterstatters entsprechend konzentriert sich das Referat auf Mikrofinanzstrukturen in Entwicklungsländern, auf den großen Bereich zwischen Subsistenzwirtschaft und Marktwirtschaft, zwischen dem informellen und dem "modernen" Sektor, zwischen Tausch- und Geldwirtschaft, in dem in Entwicklungsländern auch 40 Jahre nach Beginn der organisierten Entwicklungshilfe immer noch die Mehrheit der Menschen lebt und arbeitet.
Am Beispiel der erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgekosten eines großen, gescheiterten Bewässerungsprojekts im Sahel (Riz Nord, Korhogo, Côte d'Ivoire) einerseits und einiger Kleinkreditprogramme in Westafrika andererseits werden Formen und Akteure von Mikrofinanz und die Möglichkeiten der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung durch Verbindung von Sparen und Kleinstkredit mit bestehenden Bankensystemen vorgestellt und auf ihre Beiträge zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Masse der Bevölkerung in Entwicklungsländern untersucht. Es wird der Frage nachgegangen, welche Finanzierungsarten und -techniken besonders geeignet sind, zur Mobilisierung örtlicher Ressourcen für die örtliche Entwicklung beizutragen, den wirtschaftlich und sozial Schwachen Zugang zu Spareinrichtungen, neuem Wissen und neuen Technologien zu öffnen und so eine breite Basis für nachhaltige Entwicklung von unten und innen zu legen, statt weiter vergeblich auf von oben und außen induzierte Entwicklung zu warten. Angesichts hoher Transaktionskosten und Risiken im Zusammenhang mit der Vergabe von Klein(st)krediten an Personen mit niedrigem und unsicheren Einkommen kann von Handelsbanken kein Interesse an diesem Geschäftsfeld und Kundenkreis erwartet werden.
Ziel des Referates ist es, anhand konkreter Fälle (extern finanziertes Kleinkreditprogramm für die Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und nach örtlichen Regeln funktionierende Spar- und Kreditringe in Kamerun, mobile "Bankiers" in Ghana, Kleinstkredite an Frauengruppen in Benin und Frauen-Spargenossenschaften im Senegal) die Vielfalt der auf Selbsthilfe und Gruppensolidarität aufbauenden Alternativen vorzustellen und zu diskutieren.
19.01.2004
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(3,5 MB)
Das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis ist es, in den zufälligen Erscheinungsformen der Naturprozesse und -strukturen die Möglichkeiten der Anwendungen dieser Prozesse zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu erkennen. Hierbei kommt heute der Bioinformatik eine Schlüsselstellung zu. Sie verkörpert mehrere innovative Technologien, die auf Ergebnissen der Grundlagen- und der angewandten Forschung beruhen und weitere Forschungen stimulieren.
Nach der erfolgreichen Entschlüsselung des menschlichen Genoms steht nun die Umsetzung des Wissens zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, die Entwicklung von Methoden der Früherkennung sowie spezifisch wirksamer Medikamente im Vordergrund. Somit beeinflusst die molekulare Bioinformatik als interdisziplinäres Forschungsfeld, als ein besonders aktuelles und revolutionäres Moment in der gegenwärtigen Wissenschaftsentwicklung, die Entwicklung der Wirtschaft und Finanzwelt. Es gilt die ambivalenten sozialen und gesellschaftlichen Wirkungen der Bioinformatik, ihre Chancen und Risiken genauer zu analysieren.
Die Lesbarmachung des menschlichen Genoms hat eine neue Etappe des biologischen Zeitalters eröffnet.
Damit sind wesentliche gesellschaftliche Herausforderungen und ethische Probleme verbunden z. B. welche genetischen Eingriffe aus medizinischer Sicht sinnvoll und welche grundsätzlich abzulehnen sind. Mit den sich aus der Bioinformatik, als einer jungen interdisziplinären Wissenschaft, ergebenden neuen Möglichkeiten Natur und Mensch zu erkennen und zu verstehen, aber auch zu konstruieren, muss die Frage gestellt werden, ob diese Erkenntnisse und Technologien zum Wohle oder zum Schaden des Menschen als Spezies und Individuum genutzt werden, ob Humanität bedroht oder befördert wird.
26.01.2004
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(283 kB)
Seit den frühen 1970er Jahren ist weltweit die Herausbildung eines Umweltbewusstseins zu registrieren, und zwar nicht nur in den westlichen Industrieländern, wie die Resultate beispielsweise von Studien innerhalb des International Social Survey Programme belegen. Das Umweltbewusstsein hat sich seit dieser Zeit stark gewandelt. Waren die Anfänge noch gekennzeichnet durch Erschrecken und Warnungen, vor dem, was der Mensch der Moderne anrichtet (erinnert sei an Rachel Carsons Buch "Silent Spring" (1962) oder "Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome von 1972), so hat sich die Perspektive mit der Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auf die konstruktive Gestaltung von Zukunft verlagert.
In diesem Vortrag werden die neuesten Forschungsergebnisse zum Umweltbewusstsein kritisch resümiert. Der Referent hat im Auftrag des Umweltbundesamtes eine bundesweite Repräsentativstudie durchgeführt, deren wichtigste Resultate vorgestellt werden. Dabei geht es u.A. um die Frage, ob das Umweltthema heute "out" ist oder sich nur in einem temporären Tief befindet.
02.02.2004
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(37 kB)
Der räumliche Prozess sozialer Fragmentierung urbaner Räume ist keineswegs neu. Das traditionelle Spektrum der Separierung reicht dabei von ethnischer Ghettobildung bis zu den unterschiedlichen Standortpräferenzen von Lebensaltersgruppen und betrifft Metropolen westlicher Industriestaaten ebenso wie Megacities der Dritten Welt.
Parallel zu diesen Vertikalstrukturen entwickelt sich nun – vor dem Hintergrund der Globalisierung und der damit verbundenen zunehmenden sozialen Polarisierung – eine zusätzliche räumliche Differenzierung innerhalb der einzelnen Statusgruppen selbst. Als Motive gelten dabei ähnliche Interessen hinsichtlich des Freizeitgenusses (z.B. spezifische sportliche Aktivitäten), gemeinsame Auffassungen über den Lebensstil oder eine gemeinsame Weltanschauung. Das Resultat sind "gated communities", mit Zugangsbarrieren versehene Wohnviertel, die sich durch Selbstverwaltung bewusst von der städtischen Gemeinschaft ausschließen. Damit wird eine neue Qualität räumlicher Trennung erreicht, die sich als freiwilliges "Leben hinter Mauern" charakterisieren lässt und die noch stärker als bisherige Segregationsformen soziale Konflikte fördert.
Im Vortrag werden anhand von Beispielen aus Nordamerika, Südamerika und Europa die räumlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser "geschlossenen Gemeinschaften" vorgestellt.
09.02.2004
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Das Fiasko deutscher Verkehrspolitik
Seit Jahren ist die verkehrspolitische Diskussion in Deutschland festgefahren. Unehrliche Proklamationsrituale beschwören die Notwendigkeit eines massiven Umsteuerns in "Sonntagsreden". Im Alltag dominiert bei den gleichen Akteuren die zementierte Fortsetzung alter Rezepte und Prioritäten der Autoförderung als "Anti-Stau-Programm". Die Angst vor "Volkes Stimme" blockiert jeden Versuch eine Änderung der Verkehrsentwicklung. Das autoorientierte Investieren wird getragen von der Illusion, man könne so das heillos verstopfte System wieder flott kriegen. Man schafft es nicht, aus der Vergeblichkeit des 40jährigen Autosystemausbau mit dem fatalen Resultat von immer mehr Stau zu lernen und das Ziel eines überall und jederzeit flüssigen Autoverkehrs aufzugeben, obwohl Tausende von schnell wieder verstopften neuen Entlastungsstraßen und ausgebauten Autobahnen eigentlich zu denken geben müssten. Der vielfältig verkehrserzeugende Wachstums-Effekt des Auto-Systemausbaus wird immer wieder übersehen. Das Auto wirkt im Verkehr wie das Kuckucksei im Vogelnest. Es monopolisiert das "Futter", die anderen Mitbewerber (Fußgänger, Fahrradverkehr, Öffentlicher Verkehr) werden ausgehungert (erhalten immer weniger Geld, Platz und gesetzliche Rückendeckung) und werden am Ende aus dem Nest (=Verkehrsraum) geworfen.
Trotzdem werden Autos unverdrossen massenhaft produziert und erfolgreich verkauft, ihr "Glanz" strahlt nahezu unverändert, die "Risse im Lack" , die das Umweltthema und Sicherheitsthema in den 80er Jahren gekratzt hatten, sind erfolgreich "wegpoliert". Die Autoprobleme sind heute verdrängt, aus den Köpfen, aus den Medien und von der politischen Agenda. Industrie und Politik suggerieren, die Probleme seien gelöst. Parallel dazu gab es von interessierter Seite eine beharrliche Marginalisierung der Alternativen Fahrrad, Füße und Busse und Bahnen, und mangels professionellen Marketings und engagierter Kommunikation steht der Umweltverbund auf "verlorenem Posten". Kundenfeindlichkeit, Marktferne und das weitgehende Fehlen von Pfiff und Charme sowie von ausreichender Finanzausstattung potenzieren die systematische Marginalisierung.
Selbst die Sprache im Verkehrsdiskurs ist total autofixiert. Eine Fußgängerzone gilt als "verkehrsfrei", obwohl dort nach der Sperrung für Autos meist vier- bis achtmal mehr Mobilität stattfindet. Umgangssprachlich ist Verkehr=Autoverkehr. Das Auto hat nicht nur die Straße sondern auch die Sprache monopolisiert. Das Wort "Straße" umfaßt eigentlich den gesamten öffentlichen Raum einschließlich Gehweg, Radweg, Parkstreifen, Straßengrün. Doch heute wird Straße mit Fahrbahn gleichgesetzt. Ähnlich beim Begriff Mobilität. Sie wird als Auto- Mobilität verstanden, obwohl oft Fußgänger (gemessen an der Zahl ihrer Aktivitäten) viermal mehr mobiler sind als Automenschen. Automenschen sind Kilometerfresser, die unterwegs viel Zeit verplempern, die ihnen für die Aktivitäten fehlt. Fußmenschen gehen mit Distanz sparsam um, suchen Nähe und bevorzugen Ziele mit vielen, eng benachbarten Gelegenheiten. Aber im Alltag gelten nur Automenschen als mobil.
Man sieht, es geht allenthalben um die Psychologie. Und da verheddern sich Verkehrspolitik und -planung unheilvoll in den gängigen, wertgeladenen Begrifflichkeiten. Sie propagieren Verkehrswende als Askese, als Verzicht, als moralinsaure Selbstkasteiung. Dagegen stehen die vollmundigen Slogans der Autofreiheit, Lust, Trieb, Potenz, Begeisterung, Fahrfreude, Fahrkultur. Warum nicht auch von der Gehfreude reden, vom Flaneur, von der Individualität des freien, aufrechten Gangs, von der Lust des Fahrtwindes auf dem Fahrradcabriolet, von der Liebe zu Qualität, von der Mobilitätskultur, vom Genuß an der Stadt, von der Effizienz in der Bahn, der entspannten Mobilität, von Zuverlässigkeit, Vertrauen, Fortschritt, Technik, Service, Kommunikation, man trifft sich, man redet miteinander, man flirtet.
Wer die Verkehrswende wie "sauer Bier" definiert und die Menschen mit "Zuckerbrot und Peitsche" (Push & Pull), wobei die "Peitsche" primär zu Schikanen führt, wird sofort den massiven Widerstand der Autolobby provozieren und in emotionalen Lagerschlachten untergehen. So sind in Deutschland schon viele gut gemeinte Projekte "vor die Wand gefahren worden". Ein schönes Beispiel ist die Tempo-Diskussion. Man kann das als Freiheitsberaubung und willkürliche Schickane gegen Autos kommunizieren. Oder als Fahrhilfe, Fahrerentlastung, Beitrag zu entspannter Fahrkultur, Maßnahme für flüssigen Autoverkehr und gegen den Stau, Maßnahme zur Schonung der Autos und der Geldbeutel der Autofahrer und für ein dauerhaftes Überleben der Autos und der Autofahrer.
Ein anderes Beispiel ist die Monopolisierung der Individualität und Flexibilität für das Auto, den sog. Individualverkehr. Gedacht als Kontrast zum Massenverkehr. Aber was ist individueller und flexibler als das Gehen: man kann jederzeit stehen bleiben, die Richtung ändern, das Tempo ändern. Ähnlich ist es mit dem Radeln. Denken wir bei Individualverkehr an Gehen und Radeln? Nein, weil die Autolobby den Begriff geschickt für das Auto monopolisiert hat. Und umgekehrt ist die Anmutung des Begriffs Massenverkehr natürlich nicht sehr verheißungsvoll. Wer gehört schon gern zu den Transportmassen, zum Massentransport, fast schon wie im Viehwaggon? Dabei gibt es doch auch kleine Mini- und Midi-Busse und Bahnen, es gibt individualisierten und flexibilisierten Öffentlichen Verkehr, das Taxi, den Rufbus. Und mit der Aufteilung in die Abteile gibt es auch in der Bahn Rückzugsmöglichkeiten, auf der Fernreise kann man sich häuslich einrichten, wenn man will. Und in der Bahn ist die Tätigkeit der Reisenden meist sehr viel vielfältiger und individueller als im Auto, die einen lesen, die anderen speisen, die dritten debattieren, die vierten telefonieren, die fünften flirten. Die Bahn ist mobile Bühne, Marktplatz, Flaniermeile in einem. Nur wird das nicht kommuniziert, weil man früher widerspruchslos das falsche Ettikett Massenverkehr akzeptiert hat.
Bgl. Auch: Heiner Monheim: Angst vor dem Autovolk?
Zu den Problemen einer Verkehrswende in Deutschland.
In: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2001
Gliederung
Verkehrswende durch Renaissance von Umweltverbund und Urbanität
Prof. Dr. Heiner Monheim